Gedanken zur Schwarzwildbejagung

Die Schwarzwildbejagung – ein vieldiskutiertes und sehr unterschiedlich praktiziertes Thema. Jürg Bay teilt seine langjährige Erfahrung und Jagdpraxis im Wildschweingebiet im Kanton Zürich und erläutert seine Meinung dazu. Ein Kommentar.

Veröffentlicht am 26.02.2024

Ein Vortrag von Andreas Moser, dem bekannten Biologen und langjährigen Moderator der SRF-Sendung «Netz Natur», den er im November 2023 auf Einladung der drei örtlichen Jagdgesellschaften in Illnau-Effretikon über die Biologie und das Verhalten der Wildschweine und die Konsequenzen für die Regulation und Bejagung hielt, inspirierte zum folgenden Artikel. So werden hier eigene Erfahrungen mit Wildschweinen mit den von Moser präsentierten, wissenschaftlichen Zusammenhängen zusammengeführt.

Wildschweine sind faszinierende Tiere. Sie haben einen hervorragenden Geruchssinn, vernehmen sehr gut und sind lernfähig. Die «Wildsausprache» ist ausgeklügelt. Mir kommt hier der kaum hörbare Grunz-Laut einer Bache in den Sinn, der die ganze Rotte sofort ver-stummen und in Reglosigkeit verfallen liess. Danach verschwand die Rotte lautlos und war wie vom Erdboden verschluckt. Die Schwarzwildbejagung stellt hohe Ansprüche und ist eine grosse Herausforderung. Das Schwarzwild vergreift sich leider auch an unseren Kulturen, was den Landwirtinnen und Landwirten keine Freude bereitet. Nicht selten muss ich mir emotionale Beschwerden anhören und bin dann überfordert, weil ich die Argumente nicht zur Hand habe. Eher zufällig ist mir eines Tages im «Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel» der Zweckartikel aufgefallen. Dieser bietet eine praktikable Argumentationshilfe, wenn es darum geht, die Aufgaben der Jagd zu erläutern. Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht und zitiere deshalb hier diesen Artikel:

Dieses Gesetz bezweckt:
a. die Artenvielfalt und die Lebensräume der einheimischen und ziehenden wildlebenden Säugetiere und Vögel zu erhalten;
b. bedrohte Tierarten zu schützen;
c. die von wildlebenden Tieren verursachten Schäden an Wald und an landwirtschaftlichen Kulturen auf ein tragbares Mass zu begrenzen;
d. eine angemessene Nutzung der Wildbestände durch die Jagd zu gewährleisten.

Bejagung und Schutz landwirtschaftlicher Kulturen

Um die Schäden in den landwirtschaftlichen Kulturen zu vermindern, soll meiner Meinung nach die Bejagung des Schwarzwildes im Wald und in Dichtungen, wie zum Beispiel Schilf, zurückhaltend ausgeführt werden. Meine langjährige Erfahrung und Jagdpraxis in Wildschweingebieten zeigt, dass Schwarzwild genügend grosse Zonen braucht, wo es in Ruhe gelassen wird. Damit sinkt der Wildschaden an landwirtschaftlichen Kulturen. Da Schwarzwild sich nicht an Reviergrenzen hält, könnten Hegeringe Sinn machen. Revierübergreifend lassen sich Ruhezonen für das Schwarzwild leichter und wirksamer realisieren.

Sorgfältig und zurückhaltend bejagt werden sollten gemäss Andreas Moser nur Frischlinge und Überläufer, die auf offenem Felde zu Schaden gehen, und zwar so, dass die Bache keine bedeutende Abnahme ihrer Jungenschar feststellt. Andreas Moser ist der Meinung, dass wenn die Abschüsse eine gewisse Schwelle überschreiten, können Bachen wieder rauschig werden. Erwachsene Tiere bedürften daher der Schonung. Die Struktur der Rotte sollte nicht zerstört werden. Ausnahmen sind Hegeabschüsse bei Krankheit oder Verletzung. Ruhezonen in der Naturvegetation sind wichtig. Das heisst auch, dass Kirrungen – und seien sie noch so sparsam mit Futter bestückt – das Raumverhalten beeinflussen. Auf Kirrungen sollte deshalb laut Andreas Moser verzichtet werden. Drückjagden sind zwar bei den Jagdgesellschaften beliebt. Wir müssen die Ergebnisse aber realistisch betrachten. Drückjagden haben es in den letzten zwei Jahrzehnten nicht geschafft, den Wildschweinbestand zu reduzieren – im Gegenteil. Die Eidgenössische Jagdstatistik zeigt es: Mit jährlichen Schwankungen nehmen die Abschusszahlen laufend zu. Je mehr man schiesst, desto mehr Wildschweine gibt es, meint Andreas Moser.

Nach meiner Auffassung ist es sowohl bei der Jägerschaft als auch in der Landwirtschaft bekannt, wie landwirtschaftliche Kulturen vor Schwarzwild geschützt werden können. Deshalb könnte es Sinn machen, sich frühzeitig, also bereits im Winter, zu treffen und die Problematik zu besprechen. Wenn die Jägerschaft vor der Aussaat die beabsichtigte Ansaat kennt, ist sie eher in der Lage hinsichtlich Wildschadenverhütung zu beraten. Nach der Saat ist es dazu oft zu spät. Wenn es gelingt, dem Schwarzwild den Zutritt zu landwirtschaftlichen Kulturen grossflächig zu erschweren, wird das Auswirkungen auf die Fortpflanzungsrate haben. Nach Andreas Moser könnte es unter erschwerten Umständen hilfreich sein, jemanden aus der Wissenschaft als Vermittler und Diskussionsleiter beizuziehen, bis sich so ein Team aus Jägern, Landwirten und allenfalls der Jagdverwaltung des Kantons eingespielt hat. Es sind neue Ansätze mit einem kohärenten Management und Schutz der landwirtschaftlichen Kulturen gefragt, es braucht angepasste, selektive Bejagungsformen sowie die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Sozial- und Fortpflanzungsverhalten der Wildschweine, so Andreas Moser.

Beim Einzäunen kann auch die Jägerschaft mitwirken. (Bild: AdobeStock/Stéphane LeitenbergerProteine)

Schonung ausgewachsener Keiler

Moser machte in seinem Vortrag einen wichtigen Zusammenhang deutlich: Ausgewachsene Keiler sind die Regisseure in der Rauschzeit, indem sie dafür sorgen, dass Frischlingskeiler bei Frischlingsbachen nicht zum Beschlag kommen. Grosse Keiler spielen im Sozialverhalten der Wildschweine tatsächlich eine zentrale Rolle, und wie beim Steinwild sind die alten Böcke die wichtigsten Individuen in der Paarungszeit. Wissenschaftliche Studien an Haus- und Wildschweinen – biologisch dieselbe Spezies – zeigen: Die Präsenz der kapitalen Keiler sorgt über ihre Pheromone im Speichel dafür, dass alle Bachen einer Rotte synchron für wenige Tage in den Östrus kommen, das heisst, dass sie empfängnisbereit sind – und danach nicht mehr. Dies ist eine der Voraussetzungen, dass bei den Wildschweinen die arteigene Populationskontrolle spielt. Dadurch werden junge Bachen erst im zweiten oder gar im dritten Lebensjahr trächtig, was die Fortpflanzungsrate deutlich senkt. Für mich als Jäger heisst das: Das Schwarzwild braucht die adulten Keiler und nicht der Jäger ihre Trophäe an der Wand. Meines Erachtens ist es wichtig, dass Jägerinnen und Jäger diese wichtigen biologischen Eigenheiten der Wildsauen kennen.

Brave Keiler sind die Regisseure während der Rauschzeit. (Bild: Sven-Erik Arndt)

Schonzeit von Anfang März bis Ende Juni (Kanton Zürich)

Erfolgen die Abschüsse gemäss Andreas Moser gezielt und moderat, so dass die arteigene Populationskontrolle spielt, tritt auch der Aspekt der intensiven Jagd als «Schädlingsbekämpfung» in den Hintergrund. Meiner Meinung nach wäre es dann denkbar, dem Schwarzwild eine Schonzeit von Anfang März bis Ende Juni zuzugestehen, und zwar für alle Altersklassen. Die geltende Scho-zeit im Kanton Zürich erlaubt die Bejagung von bis zu zweijährigen Wildschweinen ausserhalb des Waldes. In der Praxis ist das schwierig, denn die Vegetation macht das Ansprechen der jungen Tiere in dieser Zeit nicht einfach, insbesondere nachts. Die Schonzeit fällt in die intensivste Landwirtschaftsphase mit den attraktivsten Kulturen (Mais-Saat, Zuckerrüben, Weizen in der Milch). Andreas Moser weist darauf hin, was aktuelle Studien der Arbeitsgruppe des Wildtierbiologen Stefan Suter von der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) aufzeigten: Es macht Sinn, in dieser Zeit den Jagddruck mit Vergrämungsabschüssen im Bereich der Kulturen gezielt einzusetzen. Dabei ist es wichtig, dass diese attraktiven Kulturen nicht zu nahe am Wald stehen und konsequent und effizient gegen Wildschweine eingezäunt sind.

Dort, wo das Verhältnis zwischen Jägerschaft und Landwirten etwas angespannt ist, wäre es gemäss Andreas Moser vorteilhaft, wenn die Diskussion versachlicht wird. Der Beitrag der Jägerschaft sollte nicht nur aus Ansitzen und Abschiessen bestehen, sondern könnte durchaus auch die Mithilfe beim Zäunen und beim Unterhalt der Zäune beinhalten. Es könnte Sinn machen, dass die Jagdgesellschaften sich mit den Landwirten periodisch treff en und besprechen, wie sich die Lage entwickelt und welche Aufgaben von allen Beteiligten in verschiedenen Funktionen wahrgenommen werden. Dazu könnte gemäss Moser auch ein (Videofallen-)Monitoring der Zahl und der Bewegungen der Wildschweine gehören. Wissenschaftliche Beratung dazu (z. B. von der ZHAW) kann dabei hilfreich sein. Es braucht nicht nur Verständnis der Biologie der Wildschweine, sondern auch gegenseitiges Interesse und Verständnis zwischen Jägerschaft und Landwirtschaft.

Vergrämungsabschüsse

Nach Aussage von Andreas Moser ist Stefan Suter von der wildbiologischen Abteilung der ZHAW wahrscheinlich der einzige Wissenschafter, der im Moment in der Schweiz Freilandstudien bei Wildschweinen durchführt und inzwischen einen grossen – auch methodischen – Erfahrungsschatz mitbringt. Er konnte mit sendermarkierten Wildschweinen den Vergrämungs- und Ortsvermeidungseffekt nach Abschüssen nahe bei landwirtschaftlichen Kulturen einwandfrei dokumentieren. Dabei ist vielleicht Folgendes bedenkenswert: Bei den Wildschweinen, als sehr lernfähigen und intelligenten, auch intraspezifisch zur Kommunikation fähigen Lebewesen, gibt es grosse individuelle Variationen im Verhalten. In diesem Sinne ist es problematisch, Empfehlungen nach «Rezept» für alle Wildschweine abzugeben, weil die Reaktion vor allem sozial wichtiger Individuen auf bestimmte Ereignisse wie etwa ein Beschuss sehr unterschiedlich ausfallen kann – mit Signalwirkung auf assoziierte Individuen, vielleicht sogar mit generationsübergreifender Wirkung. Da diese zusätzlichen Faktoren – neben der individuellen Erfahrungs- und Lerngeschichte einzelner Tiere – eine solche Variabilität einer Gesamtsituation mit sich bringen, ist es problematisch, aus Erfahrungen mit Einzelsituationen allgemeingültige Schlüsse zu ziehen. Da ist es gemäss Andreas Moser wohl das Beste, lokal und situativ auszuprobieren, was funktioniert und daraus zu lernen und stets darauf gefasst zu sein, dass es in anderem Zusammenhang eben wieder anders sein kann. Ich stelle fest, dass der Einsatz von Nachtsichtzielgeräten zur selektiven Bejagung von Wildschweinen nicht unisono als «weidmännisch» empfunden wird. Er stellt aber, mit Bedacht durchgeführt, eine Möglichkeit zu wesentlich schonenderen und gezielteren Abschüssen dar als jede bewegte Jagd und kann geeignet sein, bei starker Po-pulationsentwicklung die nötige Abschussquote in den angepeilten Altersgruppen zu erreichen.

In Ruhezonen kann Schwarzwild auch tagsüber beobachtet werden. (Bild: Dieter Hopf)

Ermittlung des Schwarzwildbestandes

Den Schwarzwildbestand im Revier genau zu kennen, ist für die Jagdplanung gemäss Andreas Moser notwendig. Den Bestand zu ermitteln, ist jedoch schwierig und vor allem aufwändig. Revierbezogen macht es kaum Sinn, denn das Schwarzwild wechselt über mehrere Reviere. Hegeringe wären dazu die bessere Voraussetzung. Inzwischen sind zuverlässige Zählmethoden mit Videomonitoring bekannt, zum Beispiel diejenige der «Zoological Society of London» (Marcus Rowcliff e, Juliet Field, Samuel T. Turvey und Chris Carbone). Diese Zählmethode erfordert wissenschaftliches Know-how und dürfte es, zumindest zum heutigen Zeitpunkt, schwer haben, sich durchzusetzen. Dazu ein Tipp aus meiner praktischen Erfahrung: Dort wo Schwarzwild grössere Ruhezonen (Hegeringe) hat, ist es möglich, dieses auch tagsüber zu beobachten. Der Praktiker kennt seine Rotten bereits nach kurzer Zeit und kann so zumindest annähernd den Bestand abschätzen. Die Ermittlung des Schwarzwildbestandes bleibt also weiterhin eine Herausforderung, ist aber für ein gezieltes Management des Bestandes unverzichtbar, hielt Andreas Moser in seinem Vortrag fest.

Möglicherweise könnte unser Kenntnisstand über wichtige biologische Eigenheiten des Schwarzwildes noch erweitert werden. Der Kontakt und der Austausch mit der praxisorientierten Wissenschaft und der Landwirtschaft kann uns weiterbringen. Vielleicht unterstützen die kantonalen Jagdverwaltungen diesen Prozess. Für zusätzlichen Stoff bei der Aus- und Fortbildung der Jägerinnen und Jäger dürfte gesorgt sein. Zusammenarbeit ist wichtig, damit der eingangs erwähnte Zweckartikel des Bundesjagdgesetzes erfüllt wird.

Text: Jürg Bay
Hauptbild: Sven-Erik Arndt

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