Denken wie eine Sau

Für Wildsauen ist unsere Kulturlandschaft ein wahres Fressparadies. Warum sollte es dieses schlaraffenhafte Umfeld verlassen, wenn der grossflächige Maisanbau, die meist milden Winter oder die mancherorts praktizierten und für die Sauen immer durchschaubarer werdenden Jagdstrategien sich nicht ändern?

Veröffentlicht am 30.11.2020

Text: Fritz Wolf

Beim erstmaligen Auftauchen einer Saufährte wird vielfach sofort Kirrmaterial in den Wald getragen, in der Hoffnung, auf diese Art und Weise sein Stück Schwarzwild im eigenen Revier erlegen zu können. Die Position der Sauen verschlechtert sich durch solche, durchaus menschliche Handlungen, Regungen oder nennen wir sie Eigenschaften, in keinster Weise. Im Gegenteil, die lernfähigen Tiere gewöhnen sich relativ rasch an die Jagdmethoden und Gewohnheiten der jeweiligen Jäger vor Ort und passen sich auch an die, für die intelligenten Tiere zu berechnenden Störquellen, im unmittelbaren Lebensraum bestens an.

Wer Schwarzwild nachhaltig erfolgreich bejagen möchte, muss auch versuchen, wie eine Sau zu denken, um sich in sie hineinzuversetzen. Dabei spielen jahreszeitlich verschiedene Fressmöglichkeiten, witterungsbedingte Umweltsituationen, Grundbedürfnisse nach Suhlen und  Malbäumen, Verdrängungseffekte durch erhöhten Jagddruck oder auch die enorme Lernbereitschaft dieser Tiere eine wesentliche Rolle. 

Wie bei vielen Alltagssituationen in unserem menschlichen Dasein ist das «sich Hineindenken» in ein Tier, eine Pflanze oder einen Menschen, eine wesentliche Eigenschaft, um sein Gegenüber besser zu verstehen und somit auch langfristig erfolgreich «kommunizieren» zu können. Vor jeder jagdlichen Handlung ist es daher von Vorteil, sich mit dem «zu bejagenden Wildtier», dessen Lebensweise und arttypischen Eigenschaften auch geistig auseinanderzusetzen.

Wenn man die Jagdstrategien auf Schwarzwild anführt, so sind vordergründig die Ansitzjagd an der Kirrung, die revierübergreifende oder im Kleinen durchgeführte Drückjagd mit Hundemeuten und im Ansprechen und dem Umgang mit der Waffe geübten Schützen, das Saukreisen, der Ansitz im Feld, an Schadensflächen, Suhlen, Wechseln und Mast tragenden Bäumen sowie die Pirsch zu erwähnen.

Allgemeines Revierverhalten

Sauen meiden eher Hochdruckwetter und fühlen sich beim sprichwörtlichen Sauwetter am wohlsten. Da durch den Regen zumeist auch das Licht früher schwindet, ist es für den Jäger angebracht, früher als sonst anzusitzen und die Schwarzkittel zu erwarten. Sauen verlassen ihre Kessel beim ersten Schneefall nur selten, Tauwetter hingegen bedeutet zumeist auch erfolgreiches Sauansitzwetter. Schwarzwild wechselt fast immer an jenen Stellen vom Wald ins Feld wo die beste Deckung, demnach auch Sicherheit, zu erwarten ist. Offene Wiesen oder Felder werden in Vollmondnächten nur ungern überquert. Dort wo Wasser im Revier ist, fühlt sich auch das Schwarzwild wohl. Gerade in den heissen Sommermonaten werden die Suhlen gerne zum Vertreiben von Insekten angenommen und anschliessend harzige Bäume zum Malen aufgesucht.

Verhalten an der Kirrung

Die Hauptgründe für übervorsichtiges Schwarzwild im Revier sind zumeist Fehler des Jägers auf dem Weg zum Ansitzplatz, vor, bei und nach der Schussabgabe oder beim Verlassen der jagdlichen Einrichtung.

Sauen sind sehr soziale Tiere und werden von einer Leitbache geführt. Da diese zumeist  einiges erlebt und im Laufe ihres Lebens auch einiges an Erfahrung gesammelt hat, wird sie im Regelfall die Rotte vorsichtig zur Kirrung oder ins Feld führen. Im April werden die Überläuferkeiler von der Leitbache abgeschlagen und sind auf sich allein gestellt. Ohne Führung sind diese unerfahrenen Keilerchen weit unvorsichtiger und auch verräterischer auf dem Weg zum Fressplatz unterwegs. Selbst an der Kirrung ist ihr «Benehmen» rüpelhaft und laut. Die am nächsten Morgen anzutreffende Kirrstelle ist nach dem Besuch der «jungen Burschen» ordentlich durcheinandergebracht, Steine oder unbefestigte Rolltonnen weit verstreut. Hier haben Halbstarke ganze Arbeit geleistet. Eine Bache mit kleinen gestreiften Frischlingen schiebt Steine und Abdeckmaterial ganz vorsichtig zur Seite und verrät sich (auch ohne Wildkamera) als fürsorgliches und vorsichtiges Muttertier. Einzelne, ältere Keiler legen ebenfalls dieses Verhalten an den Tag. Ein Jagderfolg beim Vollmondansitz wird immer schwieriger, da die Schwarzkittel genau wissen, dass die aufgeschichteten Steinhaufen in solchen Nächten gerne aufblitzen und danach der Schweiss eines Rottenmitgliedes gewindet wird.

Mit jedem Fehler der einem Ansitzenden widerfährt, wird das Schwarzwild vorsichtiger und lässt den Bejagungsaufwand und die benötigten Ansitzstunden pro Sau steigen.

Auch das nächtliche Befahren der Waldstrassen kann von den Sauen bereits als Gefahr angesehen werden. Die Folge davon ist, dass sie in dieser Nacht nicht den gewohnten Weg zur Kirrung annehmen und von ihr fern bleiben. Nach der Heimfahrt des Jägers und dem  vernommenen Motorlärm wird die Kirrung manchmal wieder angenommen. Die am nächsten Tag kontrollierten Bilder auf den Speicherkarten der Wildkameras bestätigen häufig diese Tatsache.

Zumeist sichert die Leitbache mit allen Mitgliedern bis zu einer Dreiviertelstunde in der Nähe des Kirrplatzes und wartet ab, ob ein verräterisches Zeichen einer von ihr gemachten Negativerfahrung zu hören ist. Dabei ist nicht das kleinste Geräusch eines der Rottenmitglieder zu hören und die aufgestellten Teller sichern wie Radarschirme nach etwaigen vorhandenen verdächtigen Geräuschen.

Das kann ein Husten des Jägers, das Anstreichen der Kleidung oder des Gewehrriemens am Hochsitzholz, das Anschlagen des Fernglases oder des Gewehrlaufes, das Schnarchen des eigenickten Jägers oder das laute Gähnen seines abgelegten vierbeinigen Begleiters sein.

Vereiste Fenster oder Hochsitztüren, die verspannt sind und beim Öffnen derselben krachen, verrostete Verriegelungen, knarrende Scharniere oder Sitzbretter, ein küselnder Wind, der in die falsche Richtung dreht … Wie bei allen Jagdarten ist stets auf die Windsituation zu achten. Gerade am Abend, wenn die Luft kälter wird, zieht diese dem Boden zu und verrät einen ansitzenden Grünrock bei unachtsamer Öffnung der Fenster.

Selbst Veränderungen am Hochsitz können bei erfahrenen Sauen zum Meiden des Fressplatzes führen. So kann beispielsweise ein ansonsten immer geschlossenes Glasfenster, welches beim Ansitz geöffnet wird und im Mondschein Lichtstrahlen reflektiert, die Sauen vor einem wartenden Jäger warnen. Eine Leitbache verfügt über ein grosses Erfahrungspotenzial. Sie hat vielleicht auch schon gehört, wie eine Patrone in den Lauf repetiert wird, die Hülse auf den Hochsitzboden gefallen ist, oder mit der Taschenlampe sofort nach dem Schuss umhergeleuchtet wurde. Wenn dann die Sauen solche Geräusche mit einem jagenden Menschen verbinden, wird dadurch das Wild nachhaltig vorsichtiger und schlauer gemacht.

Nach einem Schuss auf ein Rottenmitglied warten die Sauen zumeist in der Nähe der Anschusstelle, stehen ruhig, die Teller gespitzt, auf jedes Geräusch achtend. Wenn sie dann den laut polternden, vielleicht telefonierenden Menschen vom Hochsitz klettern hören, dann hat sich wiederum eine Negativerfahrung am Kirrplatz eingeprägt.

Man versetze sich in folgende Situation: Eine Rotte Sauen betritt die Lichtung, wo verstreut wenige Maiskörner liegen. Ganz vorsichtig schieben sich die ersten zwei Stücke vor, die anderen Rottenmitglieder sind noch in der Deckung. Plötzlich kracht es, vielleicht klagt die beschossene Sau auch noch. Man könnte es mit einer Gruppe Menschen vergleichen, die in ein Restaurant geht, und noch bevor sie sitzen, knallt der Kellner dem Vordersten der Gruppe eine schallende Ohrfeige. Der Rest der Gruppe musste diesem Vorfall zusehen und wird folglich das Lokal nie mehr betreten. Bei der oben geschilderten Vorgangsweise dieses bestimmten Jägers werden die Sauen dahingehend trainiert – dass zumindest dieser Kirrplatz zu meiden ist.

Würde der Jäger warten und eine der zuletzt wegziehenden Sauen beschiessen, sofort repetieren und sich dann für die nächsten zwei Stunden ruhig verhalten, bevor er abbaumt und die Sau abtransportiert, dann bleibt die Negativerfahrung für die verbleibende Rotte um einiges geringer.  

Verhalten bei Bewegungsjagden

Sauen lernen aus Erfahrungen, genauso wie wir Menschen. Nur manchmal habe ich den Eindruck, dass das Schwarzwild ein weit disziplinierteres Sozialverhalten an den Tag legt, als es bei manchen in Gruppen jagenden Menschen zu erkennen ist. Sind Sauen bereits öfters bejagt worden, so braucht es eine Meute an gut eingejagten Hunden, welche im Stande sind, die Rotten zu sprengen. Haben die Sauen die Erfahrung gemacht, dass sie beim Verlassen des Kessels beschossen werden, dann versuchen sie, sich möglichst dort aufzuhalten, wo sie sich sicher fühlen.

Wer eine Bewegungsjagd im Ansitzrevier plant, sollte vier bis fünf  Wochen vor dem Jagdtermin keinen Schuss abgeben.

Je mehr wir uns als Jäger in die schwarze Seele unseres wilden Borstenviehs hineinfühlen  können, umso besser werden wir verstehen, es zu bejagen. Zuletzt wird der Wunsch auch beim jagenden Menschen entstehen, wiederum tagaktive Wildschweine antreffen und bejagen zu können – ohne (gefährliche) Treiberschützen, Taschenlampen und Nachtsichtzielhilfen.

Fotos: 1) Michael Breuer, 2) und 3) Karl-Heinz Volkmar

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