Cornelia Crosby – It-Girl mit Guiding-Lizenz
Auf der langen Liste weltberühmter Jäger findet man nur wenige Frauennamen. Cornelia Crosby aus dem US-Bundesstaat Maine zählt zwar zu diesem illustren Kreis, ist aber bis heute in Europa (fast) unbekannt.

Als Cornelia Crosby einen Tag nach ihrem 92. Geburtstag am 11. November 1946 verstarb, konnte sie auf ein knappes Jahrhundert intensiv gelebter Outdooraktivitäten zurückblicken und mit Fug und Recht von sich behaupten, aus ihrem langen Leben das Beste gemacht zu haben: Unzählige Jagd- und Angelgäste hatte sie durch die wildreichen Wälder und auf die fischreichen Seen ihres Heimatstaates Maine (USA) geführt; unter ihnen Stars von den Bühnen des Broadway, Schriftsteller, Industrielle und sogar einen US-Präsidenten. In die Wiege gelegt wurde Cornelia dieses Glück allerdings nicht, denn nach der Schule war ihr eigentlich eine Laufbahn als Telegrafenmädel beschieden. Dass diese aber nur kurz währte, war dem Telefonapparat geschuldet, dessen rasante Verbreitung sie in den 1880er- Jahren ihren Job kostete. Statt sich ins Heer der Arbeitslosen einzureihen, besann sie sich auf ihr im ländlichen Maine erworbenes Können als Jägerin und Fliegenfischerin, packte all ihren Mut zusammen und schrieb anstelle von Bewerbungen ihre jagdlichen und sportfischereilichen Erlebnisse im Kurzgeschichten- beziehungsweise Reportageformat auf. Diese kurzen Storys schickte sie an die damals an der US-Ostküste sehr bekannte Zeitschrift «Phillips Phonograph», dessen Redakteure und Herausgeber von Cornelias Schreibstil zwar begeistert waren, sich jedoch nicht trauten, ihren Lesern Schrifttum aus der Feder einer Frau zu präsentieren. Man entschloss sich also dazu, der jagenden und fliegenfischenden Autorin das geschlechtsneutrale Pseudonym «Fly Rod» zu verpassen. Der erste «Fly- Rod»-Artikel erschien am 19. Juli 1889 und stiess bei den Abonnenten auf solch positive Resonanz, dass der Chefredakteur ihr eine wöchentliche Kolumne im Heft reservierte.
Aus heutiger Sicht fast folkloristisch, fru?her aber Ausweis wirtschaftlichen Erfolgs: Cornelia mit einer Winchester-Repetierbüchse. (Bild: zVg.)
Mit der Eisenbahn in die Jagdgru?nde
Rasch wurde bekannt, dass sich hinter «Fly Rod» eine junge Frau verbarg. Eine Tatsache, die aber keineswegs zu der befürchteten Ablehnung führte, sondern ihre Leser nur noch neugieriger auf die Verfasserin machte. Diese Toleranz weiblicher Jagdleidenschaft ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass der gekonnte Umgang mit Flinten, Büchsen und Angelruten für Frauen im ländlichen Amerika damals nichts Ungewöhnliches war, denn anders als im städtisch geprägten Europa, wo die Jagd auch an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert weitestgehend noch immer ein Privileg des Adels war, hatten Frauen seit Beginn der Kolonisierung des nordamerikanischen Kontinents durch Jagd und Fischerei zum Nahrungserwerb ihrer Familien beigetragen. Cornelias Schritt war somit eher traditionsbewusst als revolutionär. Wenig später erschienen ihre Artikel auch in vielen anderen Zeitungen und Zeitschriften sowie in allen namhaften Outdoormagazinen («Field & Stream», «Shooting & Fishing» etc.), sodass Cornelia rasch zu einer der populärsten und gefragtesten Outdoorschreiber(innen) des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts avancierte.
Trotzdem konnte sie vom Schreiben allein nicht leben und kam schnell auf den Gedanken, ihren Bekanntheitsgrad in klingende Münze zu verwandeln. Der in den Anfängen begriffene Outdoortourismus kam ihr dabei wie gerufen, denn sie war von Kindesbeinen mit Jagd und Fischerei vertraut und kannte die Wälder und Gewässer ihrer Heimat wie eine zweite Haut. Trotzdem war es in den Anfangstagen der US-amerikanischen Tourismusbranche für eine Hobbyjägerin nicht selbst verständlich, dort Fuss zu fassen. Umso erstaunlicher mutet es heute an, dass sie keine männlichen Widerstände zu überwinden hatte, sondern – und dies macht ihre Berufslaufbahn so ungewöhnlich – sogar 1897 die allererste vom Staat Maine ausgestellte offizielle Lizenz als Angel- und Jagdguide erhielt. Dass die Konzession mit der Nummer 1 ausgerechnet an eine Frau vergeben wurde, mag marketingtaktische Wurzeln gehabt haben. Ein weiterer Grund für diesen Behördenakt könnte aber auch in der Tatsache zu suchen sein, dass man mit der talentierten Fremdenführerin zugleich auch eine exzellente Botschafterin für den Bundesstaat Maine gefunden hatte. Schliesslich waren ihre Kolumnen dermassen beliebt, dass auch eine regionale Eisenbahngesellschaft mit der populären Outdoorjournalistin für das Anglerparadies im Nordwesten der USA warb. Die Eisenbahn war es dann auch, die zahlreiche angel- und jagdbegeisterte Urlauber aus den Metropolen Boston, New York und Washington in die Jagdreviere und die Gewässer rund um die Kleinstadt Rangeley brachte, sodass sich dort schnell jene angel- und jagdtouristische Infrastruktur entwickelte, wie sie mit ihren Camps und Lodges noch heute für die Vereinigten Staaten und Kanada typisch ist. Auf das Konto der Bahn ging aber auch, dass Cornelias Karriere als Jagd- und Angelguide einen schweren Dämpfer erhielt. 1899 stolperte sie auf dem Bahnsteig über ein Stück Kohle und verletzte sich so schwer am Bein, dass sie für den Rest ihres Lebens nur vom Pferderücken aus jagen und vom Kanu aus fischen konnte.
Frühe Markenbotschafterin
Als clevere Selfmade-Frau liess sie sich durch dieses Handicap allerdings nicht ins Bockshorn jagen und erwies sich von nun an als wahres Werbegenie für den Tourismus ihres Heimatstaates. Mit der Jahrhundertwende war sie auf zahlreichen Tourismusshows sowie Jagd- und Angelmessen von Boston bis New York eine willkommene Rednerin und selbstbewusste Fremdenverkehrsfachfrau. Ihre Messestände, auf denen sie entweder mit einer Fliegenrute oder mit einem Gewehr auftrat, glichen dabei den berüchtigten Völkerschauen, denn neben zahlreichen Trophäen war sie auch von indianischen Ureinwohnern umgeben, die in ihrer traditionellen Kleidung auf die urbanen Messebesucher ebenso bizarr gewirkt haben mussten wie die Hirschgeweihe und Schwarzbärenfelle. Mit diesem Ensemble erwies sie sich für den damaligen Zeitgeist als geradezu typische Bewohnerin des «Pine Tree States». Zwar wurden ihre Kolumnen nicht zu Meilensteinen der englischsprachigen Jagd- und Angelliteratur, trotzdem hat es die eigenwillige Frau geschafft, ihre ganz individuellen Spuren in der Geschichte des Waidwerks zu hinterlassen. Nicht nur ihre Guiding-Lizenz mit der Nummer 1, sondern auch ihr Mut, in wirtschaftlich schweren Zeiten auf ihre Leidenschaft zu bauen, machten sie zu einer historischen Persönlichkeit, die noch im Alter von 80 Jahren nicht von ihrer Passion lassen konnte. Über sich und ihre Wünsche soll Cornelia Crosby einmal gesagt haben: «Mich zu beschreiben, ist das Leichteste auf der Welt: Ich bin eine einfache Frau mittleren Alters, messe ohne Schuhe sechs Fuss und habe viele Jahre mein Brot als Büroangestellte verdient. Ich kritzle ein bisschen für verschiedene Sportmagazine und würde lieber für alle Ewigkeit jagen und fischen, statt jemals in den Himmel zu kommen.» Ob sie nach ihrem Tode in Jagdgründe oder Angelreviere eingegangen ist, bleibt für ewig ein Geheimnis.
Text: Dr. Markus Bötefür
Hauptbild: zVg.
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